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06.12.2023
Drei Fünzigeuroscheine und ein Richterhammer

Laut einer Entscheidung des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen muss das Jobcenter Bremen die Kosten für eine behindertengerechte Wohnung auch dann übernehmen, wenn sie die üblichen Richtwerte übersteigen. (Beschluss vom 13. Oktober 2023, L 13 AS 185/23 B ER). Unser Rechtsexperte Manuel Salomon merkt dazu Nachfolgendes an.

Die antragstellende, alleinstehende Mutter mit fünf Kindern, ein Sohn davon pflegebedürftig (Pflegegrad 4), sucht bereits seit Jahren vergeblich eine barrierefreie Wohnung. Der pflegebedürftige Sohn kann die aktuelle Wohnung nur „mit erheblicher personeller Unterstützung“ über das Treppenhaus verlassen.

Insbesondere der Anspruch des Sohnes auf Teilhabe an Leben in der Gesellschaft erfordere eine andere Wohnung, so das Gericht. Angesichts der ohnehin knappen barrierefreien Wohnungen sei eine solche Wohnung auch oberhalb der behördlichen Angemessenheitsgrenzen zu finanzieren. Mögliche Versäumnisse der Mutter bei der Wohnungssuche in der Vergangenheit könnten dem nicht entgegengehalten werden – selbst, wenn es sie gegeben haben sollte.

Anmerkung KSL Arnsberg

Über die Einzelsituation hinaus lassen sich der Entscheidung einige Aspekte entnehmen, die die Position von Menschen mit Behinderungen gegenüber Grundsicherungsträgern stärken. In wesentlichen Aussagen zur Angemessenheit der Unterkunftskosten folgt das Gericht hier der Linie des Bundessozialgerichts (Urteil vom 21.07.2021, B 14 AS 31/20 R).

Außerdem hat das Gericht hier praktisch abschließend entschieden, dass die Klägerin die von ihr gewünschte Wohnung anmieten darf. Und dies, obwohl es in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu entscheiden hatte:

Unterkunftskosten sind angemessen

Das Gericht hat die Unterkunftskosten für angemessen gehalten. Es sind Kosten einer Wohnung zu übernehmen, die in der konkreten Lebenssituation für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nutzbar ist („konkrete Angemessenheit“).

Das ist für die leistungsberichtigen Personen besser als eine Entscheidung, die Unterkunftskosten seien zwar gemessen an den Richtwerten der Verwaltung unangemessen hoch, im Einzelfalle aber dennoch von der Behörde zu tragen – ggf. vorübergehend (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 7 SGB II bzw. § 36 Abs. 3 Satz 2 SGB XII).

Bewohnt man eine unangemessen teure Wohnung, dann wird nämlich weiterhin verlangt werden, sich um eine billigere Wohnung zu bemühen. Außerdem werden für angemessen teure Wohnungen zum Beispiel Nachzahlungen auf Betriebs- oder Heizkosten eher getragen als für unangemessen teure Wohnungen. Darlehen für Mietschulden sind für angemessen teure Wohnungen eher zu bekommen als für unangemessen teure.

Keine Obergrenze aus dem Wohngeldrecht

Selbst die Grenze aus dem Anhang 1 zu §12 Wohngeldgeldgesetz ist keine absolute Obergrenze – auch nicht mit 10-prozentigem Sicherheitszuschlag. Auch dies liegt auf der Linie des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 21.07.2021, B 14 AS 31/20 R, Randnummer 37).

Die Werte aus dem Anhang zum Wohngeldgesetz können gar keine Obergrenze sein. Das ist eine Folge davon, dass die Wohnung in der konkreten Lebenssituation nutzbar sein muss.

Der Wert aus dem Anhang zum Wohngeldgesetz wird von der Rechtsprechung ersatzweise als „Notlösung“ in Fällen genutzt, in denen die abstrakten Angemessenheitsgrenzen methodisch fehlerhaft berechnet worden waren [dazu und zum Sicherheitszuschlag schon BSG, Urteil vom 22.03.2012, B 4 AS 16/11 R]. Für diesen Zweck ist die Zahl brauchbar. Aber eine Zahl aus einem Gesetz bleibt notwendigerweise eine abstrakte Größe Ein konkreter Wohnbedarf ist aber eben gerade nicht abstrakt.

Abschließende Entscheidung trotz nur einstweiligem Rechtsschutz

Es konnte bereits abschließend entschieden werden, obwohl in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes meist nur vorläufige Entscheidungen ergehen (dürfen). Die Behörde musste bereits als Ergebnis des einstweiligen Rechtsschutzes zusichern, die teuren Mietkosten zu tragen. Praktisch lässt sich das nicht mehr rückgängig machen. Die Wohnung ist gemietet, selbst wenn im Hauptsacheverfahren anders entschieden werden sollte.

Laut Begründung geschah die abschließende Entscheidung hier „ausnahmsweise“. Die Voraussetzungen dafür sind noch strenger, als sie es für ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz ohnehin schon sind.

Bei Entscheidungen über die Angemessenheit von Kosten für behindertengerechten Wohnraum dürfte es allerdings regelmäßig möglich sein, abschließend zu entscheiden, weil die beiden vom Landessozialgericht erwähnten Voraussetzungen oft vorliegen dürften, nämlich:

Rechtsschutz ist auf andere Weise nicht erreichbar, weil die in Frage stehende Wohnung nur kurze Zeit zur Verfügung stehen wird. Außerdem wird die Wohnung praktisch nur zu bekommen sein, wenn die Behörde sich vorbehaltlos verpflichtet, die Kosten zu tragen.

Es besteht mit hoher oder an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Anspruch auf die Zusicherung, die Kosten zu übernehmen. Angesichts des engen Wohnungsmarktes, gerade für barrierefreie Wohnungen, gibt es bei komplexen Beeinträchtigungen oft gar keine Wahl. Dann muss man nehmen, was da ist.

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